Ernst-Penzoldt-Ges4-Niemandskind-Lazarus-Gedichte250

Gesammelte Schriften von Ernst Penzoldt in sieben Bänden. Jubiläumsausgabe zum 100. Geburtstag
von Volker Michels (Herausgeber), Ulla Penzoldt (Herausgeberin), Ernst Penzoldt (Autor)
Gebundene Ausgabe – 31. Mai 1992. Suhrkamp Verlag ISBN 3-518-40464-4
Vierter Band: Das Niemandskind (Romanfragment). Lazarus (Romanfragment). Gedichte.

Inhalt (Klappentext)

Die beiden Romanfragmente „Das Niemandskind“ (begonnen 1943) und der hier erstmals veröffentlichte „Lazarus“ (um 1950) stammen aus dem Nachlass des Autors, gleichfalls die Mehrzahl der hier aufgenommenen Gedichte. Autobiographischer Ausgangspunkt der Geschichte vom „Niemandskind“ war der Ausblick des jungen Ernst Penzoldt aus seinem Kinderzimmer im Erlanger Elternhaus auf einen Kasernenhof. Das Schauspiel der täglich exerzierenden Soldaten weckte schon damals die Befürchtung in ihm: „Das werde ich nie lernen!“ Dieser frühe Kindheitseindruck erscheint ihm 1943, mitten im bereits Zweiten Weltkrieg, als symptomatisch für das mit seiner Jugend beginnende kriegerische Zeitalter. Aus dem unbefangenen Blickwinkel des jungen Agnus, des von einem Feldwebel adoptierten „Niemandskindes“, gelingt es Penzoldt, die Absurditäten des Militarismus auf ähnliche Weise blosszustellen, wie sein Vorgänger Grimmelshausen die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges durch die Wahrnehmungen seines unverbildeten „Simplizius Simplizissimus“ dargestellt hat. Wie das „Niemandskind“ ist auch der junge Harm Todsen, die Hauptfigur der „Lazarus“-Geschichte, ein Waisenkind. Da sein verstorbener Vater Atheist war und aus seiner „Gottlosigkeit fast so etwas wie eine Religion“ gemacht hatte, interessiert sich sein Sohn um so stärker für die biblischen Geschichten, insbesondere das Schicksal des Lazarus und dessen rätselhafte Erweckung von den Toten. Weil er selbst vermutlich nicht mehr lange zu leben hat, beschäftigt ihn bei seinem Aufenthalt auf der Insel Witt nichts so sehr wie die Hoffnung, vielleicht demjenigen zu begegnen, der diese Wunder an ihm selbst zu erneuern vermag. Auf der Insel hat er Erlebnisse, die diese Erwartung bestätigen, dazu ein Naturschauspiel von elementarer Einprägsamkeit. Ernst Penzoldt selbst hat mehrere Sommer auf Sylt (=Witt) verbracht und seine Eindrücke von dieser Welt aus Licht, Sand und Wind immer wieder beschrieben. Selten aber vermochte er sie so eindrucksvoll zu vergegenwärtigen wie in diesem erstaunlichen Romanfragment. Eine Entdeckung sind auch Penzoldts Gedichte. Fast alle verdanken ihre Entstehung der Liebe, deren Glück und Schwermut sie auf unterschiedlichste Weise zum Erklingen bringen. Diese Lyrik ist so zeitlos wie ihre Thematik, auch wenn sie erst heute ein breiteres Lesepublikum erreicht.

Diese beiden Stücke haben die besonderen Merkmale der Penzoldtschen Muse: das freischwebend aus der Wirklichkeit, dem Banalen Enthobene, das dennoch einen schonungslosen Schuss Realität aufweist. Er ist witzig, doch ohne Ätze. Namentlich „Das Niemandskind“ liefert eine köstliche Satire auf das Soldatentum, die das Wunder vollbringt, warmherzig und  versöhnend zu sein und dennoch voll glühenden Zorns gegen die Erfindung des Militärs.

Martin Beheim-Schwarzbach