Ernst-Penzoldt-Multitalent

Was der Welt ich abgeguckt

Ein Portrait des Künstlers Ernst Penzoldt

Geboren im Jahr 1892, wuchs Ernst Penzoldt als jüngster von vier Brüdern in einem großbürgerlichen Haus in Erlangen auf und verlebte, nach eigener Aussage, „eine wundervolle, fast verwöhnte Jugendzeit“. Sein Vater Franz Penzoldt zählte als Medizin-Professor zu den Erlanger Honoratioren. Während der Vater den künstlerischen Neigungen des Sohnes skeptisch gegenüberstand, schien die Mutter Valerie (geb. Beckh) diese zu fördern. Zwar sahen die Pläne der Eltern auch für den vierten Sohn ein Medizinstudium vor, doch unterstützten sie Ernst letztlich auch in dessen Entscheidung, eine Künstlerlaufbahn anzustreben: 1912 nahm Penzoldt an der Weimarer Kunsthochschule bei Albin Egger-Lienz das Studium der Bildhauerei auf. Hier lernte er seinen Freund Günther Stolle kennen, in dem er das ergänzende Gegenstück zur eigenen Persönlichkeit zu erkennen meinte.

Nach dem Weggang Egger-Lienz’ aus Weimar wechselten sie 1913 gemeinsam an die Kunstakademie in Kassel, die heutige Kunsthochschule Kassel. Als 1914 der Erste Weltkrieg begann, war Penzoldt wie die Mehrzahl seiner Altersgenossen begeistert und wollte seinen Freunden und Hochschul-Kameraden nicht nachstehen und die Erwartungen der Eltern erfüllen. Er meldete sich daher freiwillig zum Militärdienst, den er (fast) bis Kriegsende als Sanitäter ableistete. Ab 1915 begann er in der Etappe, Gedichte und Erzählungen zu schreiben. 1917 fiel Günther Stolle – spätestens seit dieser Zeit sind Tod und Freundschaft wesentliche Bestandteile in Penzoldts Schaffen.

1918 kehrte Penzoldt verstört und desillusioniert heim: „Vom Gott des Krieges angebrüllt stand ich lange verdutzt. Ich fand zuerst die Sprache wieder, die Hände waren noch ohnmächtig.“ Seine schriftstellerische Karriere hat Penzoldt entsprechend (und nicht ganz ohne Koketterie) eine Art „Kriegsbeschädigung“ genannt.

 Das Leben, so sage ich, ist herrlich, fürwahr! Die Existenz aber, die Existenz ist grauenhaft, elend, unwürdig, trostlos. (Baltus Powenz)

In den politisch unruhigen Zeiten des Frühjahrs 1919 zog es Penzoldt nach München, wo er kurz darauf seinem neuen „Gefährten“, dem jungen Ernst Heimeran, begegnete. Diese Freundschaft wurde entscheidend für Penzoldts weiteren persönlichen und beruflichen Werdegang, denn Heimeran gründete im Inflationsjahr 1922 einen eigenen Verlag (Heimeran Verlag), wo Penzoldts erste Publikationen erschienen: Den Anfang machte 1922 der Gedichtband „Der Gefährte“, gefolgt von „Idyllen“ (1923) und „Der Schatten Amphion“ (1924). 1922 heiratete Penzoldt Heimerans Schwester Friederike, genannt Friedi. Die Eheschließung diente Penzoldt nach eigener Aussage auch dazu, seiner Homosexualität, die er zeitweise als verunsichernd erfuhr, ein in den Konventionen des Bürgertums verankertes Leben entgegenzusetzen. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Günther (* 1923, später Dramaturg, u. a. am Deutschen Schauspielhaus unter Gustaf Gründgens, † 1997) und Ulrike, genannt Ulla (* 1927).

Der Schriftsteller zog sich für kreative Schffensphasen immer wieder in das Haus seines Freundes Hans Carossa zurück.

Der Schriftsteller zog sich für kreative Schaffensphasen immer wieder in das Haus seines Freundes Hans Carossa auf Sylt zurück.

Anfang der 1920er beschäftigte sich Penzoldt bereits mit verschiedenen literarischen Stoffen, die ihm, erscheinend in renommierten Verlagen wie Reclam oder Insel, zum Durchbruch als Schriftsteller verhalfen: „Der Zwerg“ (1923), „Der arme Chatterton“ (1928) und „Etienne und Luise“ (1929). Penzoldt freundete sich mit Münchener Literaten und Literaturkritikern wie Hans Brandenburg, Paul Alverdes, Eugen Roth oder Hans Carossa an und gehörte 1924 zu den Gründungsmitgliedern der Künstlervereinigung „Die Argonauten“, die bald zur entscheidenden Größe im Münchener Kulturleben wurde. 1927 erhielt Penzoldt die Möglichkeit, in dem berühmten literarischen Salon von Elsa Bernstein vor so illustren Gästen wie Thomas Mann zu lesen, der retrospektiv über seine erste Begegnung mit Penzoldt schreibt: „[…] mit taktvoll gedämpfter Stimme las er seine Novelle „Der arme Chatterton“ vor, und gleich spürte ich den Reiz und Rang seines Talentes, etwas unverkennbar Musisches, einen Geist zart schwebender Leichtigkeit und des romantischen Spottes über die plumpe und häßliche Mühsal eines von den Grazien ungesegneten Lebens, eingeschlossen das Erbarmen mit den Beleidigten, Verstoßenen und Darbenden einer verhärteten Gesellschaft …“.

Ein Gerichtsprozess, der von Penzoldts ehemaligem Turnlehrer gegen die Verbreitung der Novelle „Etienne und Luise“ angestrengt wurde, da dieser sich und seine Tochter porträtiert zu finden glaubte, verschaffte Penzoldt reichsweite Bekanntheit und führte zu einem Verbot der Novelle. 1929/30 schrieb Penzoldt sein erfolgreichstes Buch, „Die Powenzbande“, „einen der seltenen humoristischen Romane, wie sie uns Deutschen leider nur alle 50 Jahre gelingen“ (Walther Kiaulehn). Dieser „Schelmenroman“ rechnet mit dem Spießbürgertum ab und entstand nicht zufällig zur Zeit des Gerichtsverfahrens. Parallel arbeitete Penzoldt an verschiedenen Theaterstücken, die zum Teil mit namhafter Besetzung aufgeführt wurden (Bernhard Minetti, Ida Ehre). Im Jahr 1932 bat der Komponist Paul Hindemith Ernst Penzoldt darum, das Libretto für eine geplante „deutsche Volksoper“ zu schreiben, was zu einer intensiven Zusammenarbeit führte, letztlich aber an den politischen Umbrüchen scheiterte. Ebenfalls 1932 entstand Penzoldts Theaterstück „So war Herr Brummell“, das sich der historischen Figur des Dandys George Bryan Brummell widmet und 1934 am Wiener Burgtheater mit großem Erfolg uraufgeführt wurde, bevor es 1935 am Hamburger Schauspielhaus und 1939 im Deutschen Theater Berlin auf die Bühne gelangte.

Obwohl Penzoldts ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus bekannt war, erschienen 1934 unter dem Lektorat von Penzoldts Freund Peter Suhrkamp der Roman „Kleiner Erdenwurm“ („ein liebenswertes, auf eine entzückende Art unzeitgemäßes Buch“, Hermann Hesse), 1935 die Erzählung „Idolino“ und 1937 der Band „Der dankbare Patient“, den die Zensur wohlwollend aufnahm und der sich gut verkaufte.

Im Frühjahr 1938 wurde Penzoldt in die Wehrmacht eingezogen. Während dieser Zeit entstanden einige wichtige Texte, unter denen vor allem die 1940 in der Neuen Rundschau abgedruckte Novelle „Korporal Mombour“ hervorzuheben ist. Obwohl diese Erzählung von Zeitgenossen als „literarisches Widerstandsnest“ (Friedrich Luft) gelesen wurde, fand sie 1943 als Feldpostausgabe Verbreitung. 1944 wurde Penzoldt aufgrund eines Magenleidens endgültig aus der Armee entlassen.

es-kommt-ein-tagNach dem Krieg bekleidete Penzoldt verschiedenste offizielle Ämter: Im Juli 1946 berief ihn der wiedergegründete „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ in die Aufnahmekommission (neben Erich Kästner u. a.), am 20. April 1948 wurde er zum Ordentlichen Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, in deren Direktorium er am 1. Juni des Jahres gewählt wurde. Ab November 1949 war Penzoldt Generalsekretär der westdeutschen Sektion des P.E.N.-Clubs, seit Dezember gleichen Jahres, auf Initiative Alfred Döblins, Ordentliches Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und Literatur. 1950 kam der Film „Es kommt ein Tag“ nach der Novelle „Korporal Mombour“ in die Kinos, der Maria Schell und Dieter Borsche in den Hauptrollen zeigt – „Ein Film, der zur Spitzenklasse gerechnet werden darf“ lautete seinerzeit das Fazit in der Presse.

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen weitere wichtige Texte Penzoldts, so 1954 die Erzählung „Squirrel“, Thomas Mann zufolge eine „poetischere Konzeption als der ganze ‚Krull‘“, Manfred Hausmann spricht von einer „anmutigen Blume im Knopfloch der Gesellschaft“. Das literarische Schaffen Penzoldts wurde durch die Verleihung zweier Preise gewürdigt: 1948 erhielt er den Literaturpreis der Landeshauptstadt München und 1954 den Immermann-Preis der Stadt Düsseldorf zugesprochen.

Bis zu seinem Tod am 27. Januar 1955 mischte sich Penzoldt immer wieder in die öffentliche Diskussion ein, verteidigte etwa Martin Niemöller, setzte sich für die Anerkennung von Exilanten ein und stellte sich gegen die Wiederbewaffnung. Hermann Hesse schrieb in einem Kondolenzbrief an Penzoldts Witwe über den verstorbenen Freund:

„Ich sah und liebte in ihm eine der ganz wenigen noch lebenden Verkörperungen des Künstlers, wie unsre Väter und wir, als wir jung waren, ihn sich dachten und wünschten.“ (Hermann Hesse)